Stalin, Schlaglöcher und Ostblockcharme – Wie Georgien unser Notfall-Abenteuer wurde

Stalin, Schlaglöcher und Ostblockcharme – Wie Georgien unser Notfall-Abenteuer wurde

Georgien stand eigentlich schon auf meiner To-do-Liste. Dass ich aber jetzt so spontan und absolut ohne Plan nach Georgien reisen würde, war allein den Konflikten in Pakistan geschuldet. Eigentlich wollten wir nämlich drei Wochen Pakistan bereisen. Dass sich aber nur fünf Tage nach unserer Ankunft ein bewaffneter Konflikt zwischen Pakistan und Indien auftun würde – damit konnten wir nicht rechnen.

Und so ging es nun mit dem Flugzeug über Kuwait für viel, viel zu viel Geld nach Tiflis, wo wir am späten Vormittag völlig übermüdet ankamen.
Nach fünf Tagen konstantem Dunst, hupenden Autos, Rikschas und – zuletzt aufgrund schlechten Hühnchens am Busbahnhof in Islamabad – auch noch Verdauungsroulette, war Tiflis – oder wie wir es nannten: Tibilibsi – irgendwie anders. Irritierend still, angenehm sauber und fast schon verdächtig unchaotisch. Irgendwie eine Mischung aus Paris und Istanbul mit einem Hauch Sowjet-Charme. Gefällt mir!

Nach einem kurzen Powernap in unserem Hotel, zu dem uns ein entnervter, maximalvoluminöser Taxifahrer mit Henkersfahrstil brachte, machten wir uns auf, um die Stadt zu erkunden.
Unser Hotel lag in bester Lage – quasi mitten zwischen den Stadtvierteln Kalaubani und Betlemi, dem mittelalterlichen Stadtkern, berühmt für seine Schwefelbäder, den Steilhang mit der Festung Narikala und seine vielen kleinen, verwinkelten Gassen.

Wir, noch von den Magenproblemen aus Pakistan und dem viel zu wenigen Schlaf durch die ungemütliche Nacht am Flughafen Islamabad etwas gerädert, wollten es heute etwas lockerer angehen lassen. Also spazierten wir durch die Altstadt, vorbei am Europe Square, und nahmen die Seilbahn hoch zur Festung Narikala.
Von dort hatte man einen herrlichen Ausblick über Tiflis und auf der anderen Seite versteckte sich in einem Tal ganz unscheinbar der botanische Garten.
Aber wir wollten heute auch nicht mehr zu viel machen, denn morgen um 10 Uhr stand unser Mietwagen bereit und wir mussten vorher definitiv noch Schlaf nachholen.

Den Mietwagen mussten wir – entgegen der ursprünglichen Absprache – nicht am Flughafen abholen, sondern konnten ihn direkt in der City, nur fünf Taximinuten von unserem Hotel entfernt, übernehmen. Eine alte E-Klasse, 250.000 Meilen auf dem Tacho, schon den ein oder anderen reparierten Blechschaden – für den Preis, den wir zahlen mussten, aber ein ganz passables Auto!

Nun waren wir erst einmal planlos. Was wollten wir überhaupt tun? Wir hatten ja quasi nichts geplant und waren absolut unvorbereitet.
Erst einmal raus aus der City – das war mir wichtig. Und das bitte ohne Unfall, denn der Verkehr hier war nicht ganz ohne.

Erstes Ziel: Irgendwas Richtung Meer. Auf dem Weg einen Abstecher nach Gori: Klingt ganz gut. Hab ich auch irgendwo schon mal gehört. Genau – Gori, Geburtsort von Josef Stalin, dem humorlosesten Schnurrbartträger der Weltgeschichte.

Zunächst ein kleiner Abstecher zu den Ruinen der alten Festung, und dann ab in die City – den Stalin-Park besichtigen. Stalins Geburtshaus wurde hier durch einen an einen griechisch-römischen Tempel erinnernden Pavillon überdacht. In der kleinen Hütte wurde Stalin 1878 geboren. Direkt daneben wird Stalins persönlicher Eisenbahnwaggon ausgestellt. Der 83 Tonnen schwere, gepanzerte Waggon wurde ab 1941 für seine Reisen genutzt – unter anderem zu den Konferenzen von Jalta und Teheran.

Auf den Besuch des Museums selbst verzichteten wir und setzten unsere Reise gen Westen fort.
Von der Kachchi-Säule, die als Nächstes auf unserer Route lag, hatten wir uns eigentlich etwas mehr erhofft. Die 40 Meter hohe Felsnadel mit einem Kloster auf dem nur 15 Meter breiten, rechteckigen Gipfelplateau konnte nämlich nur von unten besichtigt werden. War den Umweg also nicht wirklich wert. Auch wenn wir dafür einige Kilometer parallel zur Grenze Südossetiens, der abtrünnigen Teilrepublik gefahren sind.

Dann halt nach Katiu*ssi, wie uns das Navi irgendwann entnervt beibrachte.
Kutaisi also. Die zweitgrößte Stadt Georgiens – berühmt für… na ja, wir haben’s auch nicht ganz rausgefunden.
Aber das Abendessen war gut, der Stadtbummel hat Spaß gemacht, und das Hotel – angesichts seiner Lage in einem eher schäbig wirkenden und von außen nicht sehr einladend aussehenden Hinterhof – war überraschend gut.

Weiter ging’s zu den Prometheus-Höhlen, wo man in eine bunt beleuchtete Unterwelt abtaucht, die aussieht wie eine Mischung aus Disneyland und Tropfstein-Tinder.
Man tappt einem Touristenführer hinterher, der in unverständlichem Englisch dasselbe plappert, was auch auf den Schildern in der Höhle steht.
Beeindruckende Natur – wenngleich es alleine, ohne eine Herde anderer Touristen, sicherlich aufregender gewesen wäre.
Irgendwann standen wir wieder oben, atmeten frische Luft und dachten: Jetzt Batumi!

Großer Fehler! Batumi soll eine Art Las Vegas am Schwarzen Meer sein – aber jemand hat vergessen, das Meer schön zu machen. Die Neonlichter und der Glanz und Glamour sind auch nur in Grundzügen vorhanden.
Zwischen Betonklötzen, Baustellendreck und abgestorbenen Palmen beschlossen wir einstimmig:
Hier bleiben wir keine zwei Nächte! Storno – zurück raus in die Natur!

Ab in die Berge war der Plan, nur leider: keine Hotels. Die auf der Karte waren entweder Ruinen, geschlossen oder existierten nur als Datenleichen auf Booking.com.
Stunden später, nach einer Odyssee durch Serpentinen und Dörfer mit mehr Kühen als Menschen, fanden wir in Chulo ein Hotel. Zwar mussten wir noch zwei Stunden warten, in denen wir etwas essen gehen konnten, bis das Zimmer für uns hergerichtet war, dafür war das Hotel nagelneu und auf Hochglanz poliert!

Am nächsten Morgen: Aussicht wie gemalt. Sonnenstrahlen über grüne Täler, Vögel zwitschern, der Kaffee dampft – romantischer wird’s diesen Urlaub nicht mehr.

Bis man sich erinnert, dass der Regen in der Nacht nicht nur für Dramatik sorgte, sondern auch die nächsten 50 Kilometer Straße, für die wir 5 Stunden brauchten, in ein Tonstudio für Unterboden-Folter verwandelte.
Straßenbau in Georgien ist eine Mischung aus Matsch und einem Hang zur Improvisation ohne Umgehungsstraßen oder Umleitungen. Wer durch muss, muss durch! Unsere E-Klasse schleifte, kratzte und stöhnte sich über Steine und durch Schlaglöcher.
Alle paar Minuten: „Chris, steig mal aus und schau, ob wir da durchkommen.“ Oder: „Max, war das nur Schlamm oder ein Teil vom Auto?“ Im Zweifel brauchte es eben etwas Anlauf um durch die Matschlöcher zu kommen oder die schlammigen Berge hoch.
Irgendwann hörten wir auf, Fragen zu stellen. Wir hörten nur noch das KRRRRRRTSCHHHH des Unterbodens.

Kaum raus aus der Schlammschlacht plötzlich Schnee. Aber nicht grade wenig! Gefühlt durchfahren wir grade alle 4 Jahreszeiten an einem Tag.

Dann: Wardsia. Was für ein Ort! In den Fels geschlagene Klosteranlagen, eine Stadt in der Wand – und das alles mit Blick auf ein breites Tal.
Man wandert durch Höhlen, alte Kapellen, Treppen, Tunnel. Es ist still, beeindruckend und irgendwie sehr… georgisch.

Nächster Halt: Ninozminda. Und wieder: kein Hotel. Diesmal war unsere Unterkunft eine Holzhütte hinter einer Autowerkstatt, die auf Booking.com tatsächlich mit „Panorama View“ beworben wurde.
Stimmt auch – man sah den Müllcontainer, einen Fußballplatz und einen halb zerlegten Lada.
Aber immerhin: Strom, warme Dusche, ein Bett, sauber und keine sichtbaren Insekten.

Letztes Ziel: Sighnaghi. Ein Ort wie gemalt: bunte Häuser, Kopfsteinpflaster, Weinreben, Aussicht über das Tal.
Fast zu schön, um wahr zu sein. Irgendwo muss ein Photoshop-Filter über der ganzen Stadt liegen.
Wir entspannten erst im Hotel, dann im Restaurant und aßen sehr lecker zu Mittag (außer Max – der hatte mit seinen Spinatbällchen sprichwörtlich ins Klo gegriffen), besichtigten die alten Wallanlagen und dachten:
Vielleicht ist Georgien doch nicht nur Stalin, Schlamm und Schlaglöcher.

Zurück in Tiflis dann noch zwei Tage Entspannung, ein paar letzte Khinkali und ein letzter Spaziergang durch die Stadt.
Auf einen Besuch der Schwefelbäder haben wir verzichtet. Es riecht schon von außen wie Abfluss und Kläranlage, soll aber gut für die Haut sein – ist dafür aber unverschämt teuer.
Genauso wie die Postkarten: Fast zehn Euro für eine Postkarte mit Briefmarke ist nun wirklich die reinste Touristenabzocke.

Zurück nach Deutschland ging es dann mit einem kurzen Zwischenstopp in Istanbul – relativ problemlos.

Fazit? Georgien ist wie ein Überraschungsei – außen robust, innen matschig, und irgendwas zum Spielen ist auch immer dabei.

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