Pakistan goes Wrong

Pakistan goes Wrong

Seit ich 2018 in Nepal war, stand Pakistan für mich ganz weit oben auf der Bucket List. Damals sagte mir ein nepalesischer Bergführer, der lange in den pakistanischen Bergen gearbeitet hatte: Hätte Bin Laden und die Taliban das Land damals nicht zusammen mit Afghanistan in den Abgrund gerissen, wäre Pakistan heute mindestens das, was Nepal jetzt ist – aus touristischer Sicht.

2019 war ich dann im indischen Kaschmir, und für mich stand spätestens ab diesem Moment fest: Ich muss Pakistan sehen!

Wie es dann aber immer so ist – die Jungs, mit denen man den Trip geplant hat, ziehen dann doch den Schwanz ein, überlegen es sich anders oder sind für die nächsten drei Jahre verplant. Durch einen glücklichen Umstand kam dann der Kontakt zu Max zustande und kurz vorher fragte mich mein Feuerwehr-Kamerad Chris, ob denn Pakistan noch steht. Wie jetzt? Jahrelang kein Reisebuddy für das Ziel, und jetzt auf einmal zwei? Na dann – nix wie buchen, solange der fragile Frieden zwischen Pakistan und Indien im Kaschmir hält! Ziel war hauptsächlich die Region Gilgit-Baltistan, wo wir auf dem Karakorum Highway zum Kunjerab-Pass mit dem Motorrad fahren, sowie eine Wanderung zum K2-Basecamp und zur Fairy Meadows (Nanga Parbat Base Camp) machen wollten.

Und so ging es an Karsamstag los: Chris und ich ab Frankfurt, Max ab München – über Katar – nach Islamabad, wo wir nachts um zwei eintrafen.

Der Spaß beginnt direkt nach der Einreise: Gepäckausgabe in Islamabad. Gepäck? Irgendwo. Vielleicht. Oder auch nicht… Das Gepäckband dreht sich – und dreht sich – und dreht sich… Passagiere kommen, Passagiere gehen, alle bekommen sie ihr Gepäck, nur unseres mag nicht so wirklich. Zwischendurch brüllt eine Lautsprecherstimme immer wieder etwas auf Urdu – was auch immer das bedeuten soll. Nach fast einer Stunde kommt dann endlich auch unser Gepäck. Irgendwo zwischen Wäschekörben und Fernsehern. Eine Frau versucht, einen Zementsack vom Band zu heben. Ein Typ mit fünf Samsung-Kartons blockiert den Ausgang. Willkommen in Pakistan.

Wir wollten einfach nur ins Hotel. Easy… Schnell ein Uber… Denkste! Uber is not working in Pakistan. Und für die lokale Alternative „Careem“ haben wir trotz mehrerer Versuche keine Bestätigungs-SMS bekommen. Aber zum Glück war da ein Pakistani, der in Österreich lebt. Ihn haben wir an der Gepäckausgabe kennengelernt. Er sprach mit einem Fahrer, der vor dem Flughafen seine Dienste anbot, drückte ihm ein Bündel Rupien in die Hand – und verschwand.

Der Fahrer dirigierte uns daraufhin zu seinem Auto – dem gefühlt kleinsten Auto, in dem ich je mitgefahren bin. Format: Fiat Cinquecento. Das kann ja lustig werden bei drei großen Deutschen mit drei großen Rucksäcken.

Irgendwie bekamen wir das Gepäck und uns dann aber auf die Rückbank gestapelt, und schon ging es los ins nächtliche Islamabad. Der Fahrer wirkte, als hätte er zum ersten Mal eine Kupplung und ein Gaspedal unter den Füßen. Nahm mit Vollgas jede Bodenwelle mit, fuhr Schlangenlinien auf der Autobahn, schrie immer wieder euphorisch „Welcome to Pakistan!“, baute fast zwei Unfälle mit anderen Verkehrsteilnehmern und setzte sein Auto letztendlich beim Wenden in einer Seitenstraße rückwärts an einen Baum. Zwischendurch fragte ich mich, ob die Fahrt nun eine Entführung durch einen Taliban auf Speed, ein Selbstmordversuch im Straßenverkehr oder doch einfach nur normal für Pakistan war.

Am nächsten Morgen war erst einmal die Beschaffung von Bargeld angesagt. Noch konnten wir nicht mal das Hotel bezahlen. Kartenzahlung? Nie gehört. Dollar? Euro? Fehlanzeige. Nur Rupien sind interessant.

In Laufreichweite zum Hotel waren einige Geldautomaten – mit westlichen VISA-, AMEX- und Mastercard-Karten war dort allerdings kein Blumentopf zu gewinnen. Durch die Bank haben die Automaten unsere Karten abgelehnt. Nun war guter Rat teuer. Zwar hatten wir alle ein paar Euro und Dollar dabei, die wir in Rupien wechseln konnten – für die ganze Reise würde das aber wohl nicht reichen.

Plötzlich die Lösung: Wir saßen auf einer Treppe irgendwo in der City und direkt gegenüber war ein Western-Union-Büro. Ich hab das ja persönlich immer für irgendwelche shady Läden mit fragwürdigem Geschäftsmodell gehalten, Max hatte aber ein Konto bei denen – und nach gut 30 Minuten hielten wir drei dicke Bündel Rupien in der Hand.

Um die Nerven etwas zu beruhigen, wollten wir heute wenigstens etwas von Islamabad sehen – es war schließlich schon früher Nachmittag, die Geldaktion hatte länger gedauert als erwartet. Also wollten wir zum Pakistan Monument. 2,3 km – easy, sind wir in 30 Minuten gelaufen… dachten wir zumindest. Wenn wir nicht aufgrund der etwas fragwürdigen Google-Maps-Kartografie mehrfach falsch gelaufen wären und letztendlich über anderthalb Stunden unterwegs gewesen wären – und noch immer nicht am Ziel waren.

Dann plötzlich der Lichtblick: Mehr als 12 Stunden nach der Anmeldung bekamen wir den Freischaltcode für Careem, den pakistanischen Uber-Verschnitt. Endlich waren wir mobil! Der erste Fahrer brachte uns auch in wenigen Minuten – zu Fuß wäre es noch einmal mindestens eine Stunde gewesen – hoch zum Denkmal. Islamabad zeigt dort seine bessere Seite: geordnet, sauber, freundlich. Wir sitzen oben am Denkmal, blicken über die Stadt. Zum ersten Mal fühlt sich der Tag ein bisschen nach Reise und nicht mehr nach Überlebenscamp an.

Zurück im Hotel machten sich Chris und ich zunächst einmal auf die Suche nach einem Restaurant oder ähnlichem fürs Abendessen. Max wollte in dieser Zeit zum Friseur. Wir fanden in unserer Gegend kein wirkliches Restaurant, Max allerdings einen neuen Haarschnitt. Fresh… Im Gegensatz zu unserem trockenen Naan zum Abendessen.

Am nächsten Morgen dann zurück zum Flughafen Islamabad. Wir wollten ja schließlich in den pakistanischen Teil Kaschmirs. Nachdem der Flug dann zweimal verschoben wurde, ertönte letztendlich die Durchsage, dass der Flug nach Gilgit-Baltistan gestrichen sei. Angeblich wegen schlechten Wetters. Kein neuer Flug in Sicht, keine Alternative in Aussicht.

Wir schluckten kurz – und stießen letztendlich auf zwei weitere Deutsche, die auch Gilgit als Ziel hatten. Wenig später kam noch eine Gruppe des NDR dazu, die eine Doku über Baltistan drehen wollten. Ein paar Fahrer boten sich an, uns für viel Geld nach Gilgit zu fahren. Problem war nur: Von Islamabad gibt es zwei Routen nach Gilgit. Eine Route über den Pass, der aktuell wegen eines Landslides nicht passierbar war, und eine zweite, weiter westlich, die durch ein Taliban-Gebiet führt. Die Fahrt müssten wir auf zwei Tage splitten, denn nachts war es dort viel zu gefährlich – und auch tagsüber wäre die Fahrt mit Geleitschutz nicht unangemessen.

Wir mussten abwägen: Was machen wir? Ich musste schlucken, hatte eventuell auch die ein oder andere Träne in den Augen – aber der Trip nach Gilgit, dem Hauptziel dieser Reise, war damit mit vertretbarem Risiko nicht möglich.

Also dann – Planänderung XXL! Wir fahren erst mal nach Lahore. Das war eigentlich für den Schluss geplant. Mit dem Careem und etwas Diskussion für umgerechnet 60 € gut machbar.

Roadtrip durch das Herz Pakistans. Bunter Wahnsinn, hupende Trucks, Ziegen auf dem Beifahrersitz – und ein gerissener Keilriemen an unserem Taxi. Wir nahmen bei dieser Reise aber auch wirklich alles mit. Der Keilriemen wurde dann von einer mobilen Werkstatt mitten auf der Autobahn semi-professionell repariert, sodass es nach einiger Verzögerung weitergehen konnte – und wir 9 Stunden nach Abfahrt endlich in Lahore waren.

Für den nächsten Tag war ein Besuch in der Badshahi-Moschee geplant. Ein Bauwerk, das aussieht, als hätte jemand versucht, ganz Pakistan in Ziegel und Marmor zu gießen.

Rot leuchtende Mauern, gewaltige Kuppeln, filigrane Details – und eine Weite im Innenhof, die man sonst nur von Flughafenterminals kennt. Und immer wieder versteckte Schutthalden, die dann doch irgendwie das Bild trübten. Wir ziehen die Schuhe aus, tasten uns über heißen Steinboden und genießen den Kontrast zur hektischen Stadt draußen. Drinnen: Ruhe, Andacht, ein Hauch Geschichte. Draußen: Hupen, Hitze, Leben auf Anschlag. Die Moschee wirkt wie ein Reset-Knopf.

Am späten Nachmittag machen wir uns auf den Weg zur berühmten Wagah Border, dem einzigen offiziellen Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien. Was hier jeden Abend passiert, ist keine einfache Flaggenzeremonie – es ist Show, Theater, Muskelspiel und Nationalstolz auf Speed.

Schon auf dem Weg dorthin wird klar: Das hier ist kein Geheimtipp. Hunderte Menschen strömen in Richtung Tribünen, bewaffnet mit Fahnen, Popcorn und Selfie-Sticks. Auf der pakistanischen Seite stehen die Ränge voll. Auf der anderen Seite – ein paar Meter entfernt – indische Tribünen, ebenso prall gefüllt. Zwei Nationen. Zwei Lautsprecheranlagen. Zwei Versionen desselben Dramas. Dann geht’s los.

Ein uniformierter Zeremonienmeister brüllt ins Mikrofon, die Menge schreit „Pakistan Zindabad!“ zurück. Trommler geben den Takt vor. Die Soldaten – streng, mit imposanten Fächerhüten – marschieren mit exzessivem Beinheben auf die Grenzlinie zu. Wirklich: Diese Beine fliegen fast über die Köpfe. Jede Bewegung wird mit lautem Klatschen oder einem patriotischen Schlachtruf kommentiert. Dann, im perfekten Gleichschritt mit der indischen Seite, wird die Flagge runtergezogen. Zwei identische Bewegungen. Zwei unterschiedliche Weltsichten. Und am Ende: Handschlag der Grenzsoldaten. Für einen Moment wirkt es versöhnlich. Dann knallt das Grenztor zu.

Wir sind erschlagen. Nicht nur von der Lautstärke, sondern auch von der surrealen Theatralik. Patriotismus als Popkultur. Krieg als Ritual. Und doch: ein faszinierendes Spektakel. Und mitten drin wir drei dummen Deutschen – wohl das eigentliche Highlight dieser Veranstaltung, denn mit uns wollten die Pakistani mindestens so viele Fotos machen wie mit den Grenzsoldaten. Inklusive dem lokalen Polizeichef.

Nun haben wir unsere beiden Reiseziele, die wir neben Gilgit-Baltistan noch hatten, abgehakt. Was machen wir jetzt noch? Karatschi? Mit bis zu 50° viel zu heiß! Multan und Faisalabad? Nicht unbedingt auf unserer To-do-Liste. Belutschistan? Zu gefährlich. Egal – erst einmal eine Nacht drüber schlafen, vielleicht kommt ja noch der entscheidende Geistesblitz.

Schlafen war mittlerweile auch wieder möglich. Zumindest für Chris. Der hatte sich nämlich am morgen einen großen Kaffee Pakistanischer Art rein geballert. Oder zumindest hat der Kaffee geballert, so stark wie er war. Chris hatte nämlich den halben Tag gezittert und hatte massiv geweitete Pupillen. Fast als wäre er auf Drogen gewesen.

Die Entscheidung der Weiterreise wurde uns allerdings in der Nacht abgenommen. In der Nacht gab es einen Angriff im indischen Teil Kaschmirs, bei dem 26 Menschen getötet und 17 weitere verletzt wurden. Indien ordnet den Anschlag pakistanischen Rebellen zu, Pakistan wiederum rechnet mit einer militärischen Reaktion Indiens. Wollten wir uns wirklich in einer Region befinden, wo zwei Atommächte gerade mit den Säbeln rasseln? Diese Frage konnten wir ohne langes Nachdenken mit „Nein“ beantworten.

So haben aber wohl auch viele andere die Frage beantwortet, denn Flüge raus waren plötzlich unfassbar teuer. Günstig wäre alles mit Umstieg in Saudi-Arabien gewesen. Hätte man auch super machen können – ein Land, das ich schon lange besuchen wollte – allerdings hatten wir kein Visum. Umstieg in Dubai wäre auch noch so eine Option gewesen, die Airline glänzte allerdings nicht durch Zuverlässigkeit und der Flug wurde in den vergangenen Tagen und Wochen mehr als regelmäßig gestrichen. Das konnten wir jetzt nicht gebrauchen.

Letztendlich bot sich ein Flug über Kuwait nach Georgien an – allerdings wieder ab Islamabad. Dieser Flug sollte es letztendlich auch werden! Also mussten wir wieder zurück in die Hauptstadt. Diesmal aber mit dem Bus – absolut ohne Probleme und mit überraschend viel Komfort und 130km/h in Schlangenlinien über alle 3 Spuren der Autobahn.

Am Flughafen zeigte sich dann ein letztes Mal, wie chaotisch und unorganisiert Pakistan ist. Nachdem wir unser Gepäck aufgegeben hatten, durch die Immigration waren und unseren Ausreisestempel erhalten hatten, untersagte man uns an der Sicherheitskontrolle, unseren Helm mitzunehmen. Der Helm sei ein gefährlicher Gegenstand – die Aluminium- und Edelstahl-Trinkflaschen hingegen sind absolut in Ordnung.

Wir mussten also unsere Helme noch einchecken. Problem nur: Wir waren schon aus Pakistan ausgestempelt und hatten nur ein Single-Entry-Visum. Aber kein Problem. Man kann ja einfach seitlich an der Passkontrolle vorbeilaufen, das zusätzliche Gepäck einchecken – und auf demselben Weg zurück in den Sicherheitsbereich gelangen. Ohne dass es jemanden interessiert…

Fazit:
Pakistan hat uns vom ersten Moment an herausgefordert. Mit Chaos, Charme, Verzweiflung und Schönheit. Wir haben nicht alles gesehen, was wir wollten – aber wir haben viel mehr erlebt, als wir erwartet hatten.

Ob wir zurückkommen? Ja. Aber beim nächsten Mal mit genug Bargeld, stabilem Plan B – und ganz sicher ohne Kriege und bewaffnete Konflikte. Denn die gingen kurz nach unserer Ausreise erst richtig los. Mit allem, was dazugehört: Raketenbeschuss, abgeschossene Flugzeuge, gesperrte Lufträume.

3 Kommentare zu „Pakistan goes Wrong“

  1. Sehr gut geschriebener Reisebericht.

    Bin froh dass ihr alle gesund und munter zurück seid von eurem großen Abenteuer Urlaub

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