Vom heiligen Ort zur Hölle auf Rädern

Vom heiligen Ort zur Hölle auf Rädern

Muktinath liegt früh am Morgen still und erstaunlich friedlich da. Nur ein paar Pilger sind bereits auf dem Weg zum Tempel. Der Vortag steckt uns noch in den Knochen – der Aufstieg über den Thorong La war zermürbend, der Abstieg eine Tortur. Und trotzdem fühlen wir uns irgendwie frisch. Vielleicht ist es die Höhe. Vielleicht die Dusche. Vielleicht das Wissen, dass wir heute nur noch bergab müssen.

Der erste Abschnitt nach Kagbeni fühlt sich an wie ein kollektives Ausatmen nach Tagen auf über 4000 Metern. Vor uns liegt der Abstieg durch das tiefste Tal der Welt. So steht’s zumindest im Reiseführer – klingt beeindruckend, fühlt sich aber erstmal nur windig an. Sehr windig.

Der Weg hinunter nach Kagbeni ist schmal, staubig und – im besten Sinne – unspektakulär. Genau das, was wir jetzt brauchen. Ziegen kreuzen unseren Pfad, ein paar Kinder winken aus Fenstern, Maultiere trotten stoisch vorbei. Die Sonne steht schon hoch, doch die Luft ist trocken und kühl. Dann taucht Kagbeni auf – ein faszinierendes Dorf, eingerahmt von kargen Berghängen und flankiert vom mächtigen Kali-Gandaki-Fluss. Von oben sieht es aus wie eine tibetische Miniaturstadt: flache Lehmdächer, enge Gassen, ein paar windschiefe Stupas und eine uralte Gompa. Kagbeni ist das Tor zum verbotenen Königreich Mustang – weiter darf man nur mit Sondererlaubnis, einem Haufen Geld und dem Segen der Behörden. Wir genießen eine Cola in einem kleinen Gästehaus und blicken das Tal hinauf.

Ab Kagbeni wird es abenteuerlich. Der reguläre Wanderweg ist nach einem Felssturz nicht passierbar, also bleibt nur der improvisierte Weg über die weit verzweigten Kiesbänke des Kali Gandaki. Und mit ihnen: der Wind. Er kommt frontal, unaufhaltsam und mit wachsender Intensität. Zunächst ist es nur ein unangenehmes Gesichtskribbeln, dann Staub in den Augen und Sand in der Nase. Mit der Zeit verwandelt sich der Gegenwind in eine vollwertige Sandstrahlanlage.

Wir suchen uns den Weg zwischen kleinen Bächen, Geröllinseln und trockenem Flussbett. Die Landschaft wirkt surreal – wie eine Mischung aus Mars und Mittelerde. Schritt für Schritt kämpfen wir uns voran, die Schuhe voller Sand, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Immer wieder bleiben wir kurz stehen, suchen nach einem gangbaren Pfad. Langsam sind wir fix und fertig.

In Jomsom reicht’s uns. Die Beine sind müde, die Stimmung im Keller. Der Wind hat uns mürbe gemacht. Ab hier kann man entweder fliegen oder den Bus nehmen. In einem windschiefen Lokal mit „German Bakery“-Schild entscheiden wir uns: Bus! Das letzte Stück bis Tatopani sparen wir uns. Nicht aus Bequemlichkeit – aus Selbsterhaltung.

Was dann folgt, ist eine Erfahrung für sich. Der Bus ist mehr Sardinenbüchse als Fahrzeug. Wir werden ganz nach hinten verfrachtet, direkt auf das Blech über dem Motorblock. Keine Bank, nur eine vibrierende Eisenplatte. Der Bus setzt sich ruckelnd in Bewegung – die Hölle beginnt.

Indische Pilger mit zu wenig Gleichgewicht drängen sich in den Gang, hängen aus den Fenstern, singen enthusiastisch zur durchgehend scheppernden Bollywood-Musik. Der Bus schaukelt wie ein Boot im Sturm über eine Straße, die diesen Namen eigentlich nicht verdient. Links der Abgrund, rechts die Felswand – irgendwo dazwischen dieser überfüllte, schnaufende Bus mit seiner menschlichen Fracht.

Jeder Stopp bringt das gleiche Bild: Inder, die kotzend an Bäumen oder Reifenstapeln hingen – nur um sich danach sofort wieder mit vor Fett triefendem Essen vollzustopfen.

Unsere Nerven liegen blank. Jedes Schlagloch katapultiert uns gefühlt einen halben Meter in die Luft, das Metall unter uns wird heißer als ein Grill in der Mittagssonne.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir Tatopani. Endlich raus. Luft. Stille. Thomas wartet bereits – entspannt und ausgeschlafen. Er ist die Strecke mit einem gemieteten Mountainbike gefahren. Wir hingegen sind zerknautscht, verstaubt und leicht traumatisiert.

In Tatopani gönnen wir uns ein ordentliches Dal Bhat, duschen das Busdrama von der Haut und verbringen die Nacht in einer gemütlichen Lodge mit Blick auf die dampfenden heißen Quellen.

Am nächsten Morgen beginnt der letzte ernsthafte Aufstieg unserer Reise: Es geht nach Ghorepani, dem Ausgangspunkt für den legendären Poon Hill. Der Anstieg ist saftig, die Luft dicker, der Regen setzt ein. Am Abend sitzen wir in einer dampfigen Teestube, draußen klatscht der Regen gegen die Fensterläden. Wir hoffen auf einen klaren Sonnenaufgang – vergeblich.

Am nächsten Morgen um halb fünf stehen wir trotzdem mit Dutzenden anderen auf dem Gipfel des Poon Hill. Stirnlampen flackern, Thermoskannen zischen. Doch statt Annapurna und Dhaulagiri gibt es nur Nebel.

Also Abstieg. Wieder nasse Steine, rutschige Holztreppen, Blutegel, Matsch. Doch irgendwann wird es wieder wärmer, trockener, freundlicher. Über kleine Dörfer geht es nach Nayapul, vorbei an Reisterrassen, flatternden Hühnern und strickenden Großmüttern. Dort endet unser Annapurna Circuit offiziell.

Von dort nehmen wir ein Taxi nach Pokhara. Der Fahrer ist wortkarg, der Wagen rostig, aber der Weg immerhin ruhig.

Pokhara ist wie eine andere Welt. Asphalt, Zivilisation und Eiskaffee. Für vier Tage lassen wir uns treiben. Einmal Boot fahren über den ruhigen Phewa-See, hoch zur World Peace Pagoda, wo sich Gebetsfahnen im Wind wiegen und der See glitzert wie ein Spiegel.

Ein Tag im Mountaineering Museum – mit originalen Sauerstoffflaschen vom Everest, eisernen Steigeisen und Geschichten von Größenwahn und Gipfelglück.

Und die restliche Zeit? Gutes Essen, kühle Getränke, saubere Betten. Unsere Körper danken es uns.

Die Rückfahrt nach Kathmandu machen wir standesgemäß – mit einem besseren Bus, diesmal mit richtigen Sitzen, Klimaanlage und ohne kotzende Pilger. Während draußen die Reisterrassen vorbeiziehen, dösen wir ein. Der Kreis schließt sich. Annapurna ist vorbei – unser Nepal-Abenteuer endet.

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