Zwischen Apfelkuchen und Höhenkrankheit
Drei Nächte bleiben wir in Manang – nicht aus Trägheit, sondern aus Vorsicht. Abends zieht der Himmel zu, die Temperaturen fallen rapide und unsere Gespräche kreisen nur noch um eine Frage: Wie fühlt sich Höhenkrankheit eigentlich an?
Die Höhe macht sich nämlich deutlich bemerkbar. Selbst beim Zähneputzen geraten wir außer Atem, als wären wir gerade eine Treppe hochgerannt – nur dass hier keine Treppen sind, sondern einfach nur die Höhe. Manang liegt auf 3.540 Metern, und der Körper braucht Zeit, um das zu verstehen. Also: Akklimatisieren.

Der erste Ruhetag beginnt träge. Die Sonne taucht das Dorf in kaltes Licht, die Gassen dampfen noch vom Nachtfrost. In der Lodge knistert der Ofen, der Tee dampft, die Gespräche verlaufen langsamer. Der Blick aus dem Fenster zeigt: Gletscher, Gipfel, Gebetsfahnen – und darüber nur Himmel.


Am Vormittag besuchen wir das Himalayan Rescue Association Center – eine kleine Höhenklinik, betrieben von internationalen Ärzt:innen. Es gibt einen kostenlosen Vortrag über AMS, „Acute Mountain Sickness“. Pulsoximeter, Blutdruck, klare Ansagen: „Nicht weiter aufsteigen, wenn ihr Kopfschmerzen habt. Kein Alkohol. Viel trinken. Und vor allem: Hört auf euren Körper.“
Ein paar von uns lassen sich durchchecken. Alles im grünen Bereich. Ein mulmiges Gefühl bleibt. Die Höhe ist kein Witz – zumindest keiner mit Pointe.






Nachmittags brechen wir zur Ice Cave auf – eine der schönsten, aber oft übersehenen Akklimatisierungswanderungen rund um Manang. Der Pfad beginnt unterhalb des türkisblauen Gangapurna-Sees, führt erst durch staubige Wiesen mit Yaks, dann in sanften Kehren hinauf. Schon bald liegt Manang weit unter uns, eingebettet wie ein vergessener Schatz.









Auf dem Rückweg sitzen wir lange auf einem Felsvorsprung und blicken hinunter ins Tal. Der Wind trägt das Grollen ferner Lawinen herüber. Keine Stimmen. Kein Motor. Kein Empfang. Nur wir, der Berg, das Jetzt. Atemwolken. Müdigkeit. Glück. Und irgendwo hinter der gegenüberliegenden Bergkette: Tibet.



Zurück im Dorf machen wir die Tilicho Bakery unsicher. Frischer Apfelkuchen, Zimtschnecken, Schokocroissants – und ein Holzofen, der zwar nicht viel Wärme, aber dafür viel Atmosphäre spendet. Wir sitzen auf Kissen, reden wenig, essen langsam und schauen durch beschlagene Scheiben hinaus auf die weißen Dächer des Dorfs.


Der letzte Tag in Manang gehört dem Müßiggang. Unsere Beine sind müde, unsere Lungen voller Höhenluft. Am Vormittag streifen wir durchs Dorf, tragen Wasser von der Safe Water Station zur Lodge und decken uns mit den letzten Süßigkeiten für die kommenden Etappen ein. Mars, Snickers, Toffees – Höhenproviant mit Nostalgiewert.


Am Abend dann das Highlight: Kino in Manang.
Ein holzverkleideter Raum, kaum größer als ein Wohnzimmer, versteckt am Dorfrand. Die Sitzreihen: einfache Holzbänke, mit Yakfellen und Decken gepolstert. In der Ecke bollert ein kleiner Ofen, draußen wirbeln Schneeflocken gegen die Fenster. Eintritt: ein paar Hundert Rupien, ein warmer Tee inklusive – Popcorn gibt’s nicht, aber dafür Atmosphäre satt.
Der Film? „Into Thin Air“, die Verfilmung von Jon Krakauers Bericht über die Mount-Everest-Tragödie von 1996. Der Beamer ruckelt, der Ton ist blechern, doch die Geschichte fesselt. Während auf der Leinwand Bergsteiger in Not geraten, werfen wir uns die Decken fester über die Beine. Draußen tobt ein kleiner Schneesturm, drinnen wird der Himalaya auf der Leinwand zur bedrückenden Parallele. Ironisch irgendwie – mitten in den Bergen, auf über 3.500 m, ein Film über Höhenkrankheit. Vielleicht nicht die beruhigendste Wahl. Aber irgendwie genau richtig.
Als der Abspann läuft, ist es mucksmäuschenstill. Niemand steht gleich auf. Wir bleiben noch sitzen, nachdenklich, beeindruckt. So nah am Thema war ein Filmabend selten.


Manang ist mehr als ein Ort – es ist eine Art Zwischenwelt. Ein Grenzland zwischen dem, was war, und dem, was noch kommt. Zwischen Tal und Pass, Sicherheit und Herausforderung, Menschen und Göttern.
Am nächsten Morgen werden wir weiterziehen – höher, kälter, näher an den Thorong La. Aber ein Teil von uns wird hierbleiben. Die Höhe fordert ihren Tribut – Die Höhenkrankheit hat zugeschlagen.

