Vier laufen, zwei fahren

Vier laufen, zwei fahren

Da sind wir also: Besisahar, Startpunkt des Annapurna Circuit. Alles sitzt noch ein bisschen zu fest, die Schuhe sind verdächtig sauber, die Gedanken hängen noch irgendwo in Kathmandu. Doch kaum sind die Permits am Checkpost kontrolliert und die letzten Vorräte gekauft, wird aus Plan Realität. Der Weg beginnt.

Der Checkpost selbst wirkt wie eine Mischung aus Polizeiposten und Dorfbüro. Ein staubiger Tisch, ein Kassenbuch mit ausgefransten Ecken, ein Schild: „Trekkers Information Management System – TIMS.“ Der Beamte trägt Flip-Flops und ein Lächeln, schlägt unsere Namen mit blauer Tinte ins Buch. Zwei Stempel, dann sind wir frei. Der Weg gehört uns.

Es ist heiß, die Sonne steht tief, das Tal ist grün und eng. Reisfelder kleben an den Hängen, Bananenstauden wackeln im Wind. Der Marsyangdi-Fluss rauscht unterhalb – weiß, laut und völlig unbeeindruckt von unserer Euphorie. Hühner kreuzen die Trampelpfade, Kinder sind auf dem Rückweg von der Schule. Wir schwitzen. Und schwitzen. Und laufen.

Kurz vor Bhulbhule treffen wir zwei weitere Wanderer: Daniel und Basti. Zwei Deutsche, einer aus München, einer aus dem Ruhrpott. Etwa unser Alter, etwas verplant, aber sympathisch. Sie haben sich auch erst in Besisahar kennengelernt und sind ohne klare Etappenplanung unterwegs. Wir laufen zusammen weiter.

In Bhulbhule endet der Tag. Eine Lodge, ein blecherner Duschkopf, Chicken Curry mit Knochensplittern im Fleisch als knusprige Überraschung. Aber was will man machen? Wir sitzen noch lange draußen, der Wind bringt den Geruch von Flusswasser und feuchtem Gras. Es ist der erste Abend auf dem Weg – und er fühlt sich schon an wie ein kleines Leben.

Der Morgen beginnt früh, die Luft ist frisch, das Tal noch still. Vögel kreischen irgendwo zwischen den Bäumen, eine Ziege meckert am Wegrand. Kurz beratschlagen wir, ob uns eine Sechsergruppe zu groß für die Wanderung ist – oder ob wir gemeinsam weiterwollen. Wir laufen los: sechs Mann, ein Tritt, ein Rhythmus.

Alte Frauen sitzen auf Stufen und putzen Knoblauch. Der Weg windet sich durch kleine Dörfer – Bahundanda, Syange – jeder Ort wie aus dem Fels gewachsen, mit flatternden Saris an Wäscheleinen. Laufend möchte man uns hier Cannabis oder eine warme Dusche anbieten. Die Kombination verstehe ich bis heute nicht.

Je weiter wir kommen, desto steiler wird es. Der Weg wird zur Steintreppe, die Sonne beißt. Unsere Gespräche werden kürzer, die Pausen länger. Ein kleiner Hund läuft uns ein Stück nach, lässt sich kraulen, verschwindet wieder. Der Fluss tost unter uns, wir überqueren ihn immer wieder über Hängebrücken, die im Wind zittern.

Nachmittags ziehen Wolken auf. Der Himmel wird erst grau, dann schwarz. Noch bevor wir Jagat erreichen, fallen die ersten Tropfen. Kaum sitzen wir beim Tee, bricht das Gewitter los. Ein Donner, so tief, dass er in der Hütte nachhallt. Blitze zucken über den steilen Hang. Der Strom fällt kurz aus, Kerzen werden angezündet. Die Lodge wackelt, das Dach tropft. Der Wirt stellt wortlos Eimer auf. Daily Business in Nepal.

Der darauffolgende Morgen ist klar, aber die Gruppe ist angeschlagen. Beni und Yannik sehen schlecht aus – graue Gesichter, fahrige Bewegungen. „Magen, glaub ich“, sagt Yannik und lächelt gequält. Wir versuchen’s gemeinsam, aber schon nach wenigen Metern ist klar: Die beiden brauchen eine Pause. Oder einen Jeep.

Als dann wenige hundert Meter nach unserer Unterkunft ein Jeep der Entwicklungshilfe USAID den Weg kreuzt, nutzen die beiden die Chance, auf der Ladefläche mitzufahren.

Wir anderen laufen weiter, mit zwei leeren Plätzen in unserer Mitte. Die Landschaft bleibt atemberaubend, aber der Blick schweift seltener. Tal liegt malerisch zwischen steilen Felswänden, mit bunten Gebetsfahnen und einem rauschenden Bach. Eine Brücke führt ins Dorf wie in eine andere Welt.

Am Abend sitzen wir wieder vereint auf der Terrasse – aber es ist stiller als sonst. Man merkt: Der Weg ist kein Spaziergang. Er fordert. Und er beginnt, Spuren zu hinterlassen.

Yannik und Bene sind morgens wieder dabei. Zwar mäßig fit, aber motiviert. Der Weg führt durch große Pinienwälder, die Luft wird kühler, die Landschaft verändert sich. Es riecht nach Harz und Holzrauch.

Die Steigungen sind lang, das Wetter wechselhaft. Immer wieder sehen wir Yak-Herden, kleine Siedlungen, flatternde Fahnen, Gebetsmühlen, die sich leise drehen. Die Berge rücken näher, die Wolken tiefer. Zu viel für Yannik und Bene. Der Körper spielt noch nicht mit. Der zweite Abschnitt auf vier Rädern für die beiden.

Der Paungda Danda – diese glatte Felswand – schiebt sich riesig aus dem Tal. Ein Monolith, grau und rund wie eine gigantische Welle aus Stein. Die Sonne trifft ihn schräg, lässt ihn glänzen wie polierter Schiefer.

Der Weg ist jetzt offener, staubiger, die Vegetation karger. Wir sehen Murmeltiere. Oder glauben es zumindest. Von hier haben wir auch den ersten Blick auf einen 8000er – den Manaslu!

Lower Pisang, unser heutiges Tagesziel, liegt in einem Kessel. Einfache Lodges, flache Dächer, ein Kloster weiter oben am Hang. Wir entscheiden uns gegen Upper Pisang – zu müde, keine Lust. Am Abend zeigt sich Annapurna II in voller Pracht.

Der Morgen beginnt kalt und mit dem üblichen Ritual: Schwarztee trinken, Garlic Naan mit Rührei essen, Wasser filtern, zum Abmarsch fertig machen.

Wir schnüren die Stiefel und nehmen den Höhenweg über Ghyaru. Anspruchsvoll, aber mit Aussicht. Kaum hinter den Häusern beginnt der Aufstieg. Der Pfad zieht sich den Hang hinauf – unter uns das Tal, vor uns der Himmel.

In Ghyaru rasten wir. Eine alte Frau verkauft den bekannten Schwarzen Tee aus emaillierten Tassen. Sie sagt kaum etwas – also eigentlich alles wie immer.

Weiter nach Ngawal, über Hochebenen mit Yak-Dung und Gebetsfahnen. Kinder mit Wollmützen rennen vorbei, lachen, rufen „Namaste!“ und verschwinden wieder. Die Luft ist dünn, der Schritt wird langsam.

Braka taucht auf, dann das Kloster – windschief, ehrwürdig. Der letzte Weg nach Manang zieht sich. Vorbei am mehr oder weniger verlassenen „Manang Airport“. Der Wind frischt auf, treibt Staub. Die Sonne steht tief, als wir endlich das Ortsschild erreichen.

Wir beziehen das Tilichio Hotel, trinken schwarzen Tee und essen Bratkartoffeln. Und wissen: Morgen ist ein Ruhetag. Und ja – wir haben ihn verdient

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